Ein Film an das Heute,
den jeder sehen sollte
von Roland Beck
„Menschen haben es getan. Dann können Menschen es auch verhindern.“ Dieses Zitat stammt von Margot Friedländer. Die mittlerweile 102-Jährige Holocaust-Überlebende bezieht sich dabei auf die Gräueltaten der Nationalsozialisten. Ein Mensch, der einer Wiederholung solch grausamer Taten vorbeugt, ist Professor Dr. Joachim Lang. Mit „Führer und Verführer“ hat er einen – wie er es selbst bezeichnet – „Film an das Heute“ geschaffen, den „jeder in Deutschland sehen sollte“, wie Margot Friedländer betont.
Im Pressegespräch, zu dem Georg Friedrich Prinz von Preußen auf die Burg Hohenzollern geladen hatte, erklärte Joachim Lang, dass er sich seit seinem 13. Lebensjahr mit der NS-Geschichte beschäftige. „Ich kam 15 Jahre nach Ende des NS-Regimes auf die Welt und wollte begreifen, was in dieser Zeit, die ja noch gar nicht lange zurück lag, passierte.“ Viele Jahre später, Lang hatte mittlerweile Germanistik und Geschichte studiert und sich einen Namen als Journalist, Autor und Film-Regisseur erarbeitet, beschloss er, dieses Thema zu verfilmen. Insgesamt zehn Jahre habe er – mit Unterbrechungen – an dem Projekt gearbeitet.
Seinen Fokus legte der Regisseur darauf, die führenden Täter des NS-Regimes lebensecht und auf ihre Art menschlich zu portraitieren. Nicht zu karikieren. Das sei ein großer Unterschied. Bislang sei ein Adolf Hitler meist überzogen als die Personifikation des Bösen dargestellt worden. Das schaffe eine Distanz zum Zuschauer, was mit einer Verharmlosung einhergehe. Dieser Film zeige einen Hitler, gespielt von Fritz Karl, der sich auch freundlich mit Kindern abgibt und Schwächen aufweist. Oder den Familienmensch Goebbels, gespielt von Robert Stadlober, der mit Eheproblemen kämpft. Da identifiziere sich der Zuschauer. Und das mache es so eindrücklich, so erschaudern. Der dokumentarische Spielfilm beinhaltet zudem originale Filmaufnahmen aus der Zeit von 1938 bis 1945: Aufmarschierende Soldaten, öffentliche Auftritte und Reden von Hitler und Goebbels. Aber auch schonungslos grausame Szenen von Massenhinrichtungen, Berge von Leichen. Und dem Zuschauer wird bewusst: das ist keine Fiktion, sondern wirklich passiert. Zuvor habe er mit Margot Friedländer darüber gesprochen, ob es aus ihrer Sicht vertretbar sei, dieses Material in diesen Film zu integrieren. „Was diese alten Filme zeigen, habe ich selbst erlebt. Diese Filme dürfen Sie nicht nur zeigen, Sie müssen sie zeigen“, war Margot Friedländers Antwort. Auch sie selbst kommt zusammen mit weiteren Holocaust-Überlebenden in „Führer und Verführer“ mehrfach zu Wort, was dem Film ein höchstes Maß an Authentizität verleiht.
Die über allem schwebende Frage „Wie konnte es soweit kommen? Wie hat es Goebbels geschafft, die Massen für Hitlers grausames Tun zu gewinnen?“ möchte Joachim Lang mit seinem Film beantworten: „Wir schauen da beim Lügen über die Schulter.“ Der Film zeigt auf, wie Goebbels‘ Arbeit auf gnadenlosen Übertreibungen basiert, auf gefälschten Zahlen, fingierten Filmaufnahmen, ungeheuerlichen Lügen, auf Hetzen und Putschen und verdrehten Wahrheiten. „Was wahr ist, bestimme ich“ wird Goebbels im Film zitiert. „Damals hieß es Propaganda“, erklärt der Regisseur, „heute nennt man es Desinformation oder Fake News.“ Der Film birgt also durchaus eine erschreckende Aktualität. „Wir können nicht ignorant sein und sagen, das kann nicht mehr passieren. Das kann immer wieder passieren“, sagt Eva Umlauf, die ebenfalls als Holocaust-Überlebende im Film zu Wort kommt.
Als Kuratoriumsmitglied der Margot-Friedländer-Stiftung hatte Prinz Georg Friedrich die Möglichkeit, den Film bereits vor der offiziellen Premiere zu sehen – im Beisein von Margot Friedländer und Regisseur Lang. „Ich weiß nicht, ob mich schon einmal ein Film dermaßen bewegt, dermaßen betroffen gemacht hat“, erklärt der Chef des Hauses Hohenzollern. Und auch hinsichtlich seiner eigenen Familiengeschichte findet er deutliche Worte. In den vergangenen Jahren habe ihn die Aufarbeitung der Geschichte des Hauses Hohenzollern in der NS-Zeit besonders beschäftigt. Historiker hätten zuletzt viele neue Erkenntnisse ans Licht gebracht, unter anderem nach Forschungsarbeiten im Privatarchiv der Familie. Dabei seien viele Dinge ans Licht gekommen, die ihn regelrecht schockiert hätten. Um ein klares Zeichen seiner Haltung zu setzen, erklärte er: „Wer sich dem Rechtsextremismus anbiedert, kann nicht traditionsstiftend für das Haus Hohenzollern sein.“ Insofern sei es sein ausdrücklicher und persönlicher Wunsch, diesen Film auf der Burg Hohenzollern, dem Stammsitz seiner Familie, zu zeigen.
Im Rahmen des traditionellen Open Air-Kinos wurde am Freitag, 23. August 2024, „Führer und Verführer“ im Burghof aufgeführt. „Das war wirklich Neuland für uns“, erklärt Ralf Merkel, Chef der Zollernalb-Kinos und Organisator des Open Air-Kinos auf der Burg. „Normalerweise zeigen wir klassische Popcorn-Filme. Das ist nach über 20 Jahren das erste Mal, dass wir einen solch ernsten Film auf die Open Air-Leinwand gebracht haben“, so der Kinomacher. Doch bereits die Vorverkaufszahlen ließen erahnen, dass der Film durchaus auf Interesse stößt. Letztendlich füllten über 400 Besucher den Burghof. Sicherlich nicht zuletzt auch, weil Regisseur Lang und Prinz Georg Friedrich persönlich in den Film einführten und für Gespräche bereitstanden. Der Film wurde ohne Pause gezeigt. „Eine Unterbrechung würde der Wirkung des Filmes schaden“, erklärte Koproduzentin Sandra Maria Dujmovic. Und sie sollte Recht behalten. Nach knapp zweieinhalb Stunden verließen die Besucher beinahe lautlos den Burghof. Mental gefesselt in Bildern und Gedanken und berührt von den Zitaten der im Film zu Wort kommenden Holocaust-Überlebenden:
„Menschen haben es getan, weil sie Menschen nicht anerkennen als Menschen. Seid Menschen, das ist das Wichtigste.“ Margot Friedländer, Jahrgang 1921
„Ihr seid als Menschen geboren, lebt als Menschen bis zu eurem letzten Atemhauch, bleibt Menschen!“ Leon Weintraub, Jahrgang 1926
„Eine der wichtigsten Voraussetzungen eines Zusammenlebens: Dass wir den anderen nicht beurteilen nach seiner Gesichtsfarbe, nach seiner Abstammung, nach seiner Religion, sondern dass wir ihn als Mensch behandeln.“ Charlotte Knobloch, Jahrgang 1932
„Wir können nicht ignorant sein und sagen, das kann nicht mehr passieren. Das kann immer wieder passieren.“ Eva Umlauf, Jahrgang 1942